| Verstehen auf Zeit 
	  nennt Willi-Peter Hummel seine neuste Ausstellung.
	  Auf Zeit schliesst etwas 
	  Vorübergehendes ein, auf Zeit 
	  gibt uns zu verstehen, dass wir keinen Besitz ergreifen, doch etwas im 
	  Moment, in einem punktuellen Kürzestmoment, möglicherweise erfahren, 
	  erleben, berühren können. In einer Übergangssituation gleichsam.
 
 In 
	  Willi-Peter Hummels Gemälden, die Bilder in einer über die Jahre hinweg 
	  intensivierten Reduktion freigeben, herrscht viel roh belassener 
	  Umgebungsraum, der alles andere als leer ist. Was leer anmutet, ist ein 
	  aktiver Mitspieler, wenn nicht gar der Regisseur. Persönliche Räume sind 
	  stets mit ihrer Umgebung verhängt, und sie werden durch diese bestimmt, ja 
	  überhaupt erst möglich gemacht – in einer Art differenzierender Abgrenzung 
	  im Zuge der Annäherung an Fragen der Identität.
 
 Durchlässigkeit 
	  relativiert Grenzziehungen. Durchlässigkeit erinnert an Bestehendes, 
	  buchstäblich Erinnertes. Durchlässigkeit ebnet darüber hinaus den Weg für 
	  Verschmelzungen unterschiedlichster Systeme, Eigenschaften, Vorhaben und 
	  Sehnsüchte. Die Leinwand, die das kreuzartige Chassis durchscheinen lässt, 
	  ist für Willi-Peter Hummel Austragungsort. Ein Ort des Geschehens. Aber 
	  auch ein Ort des Geschehenlassens, ein Ort jedoch vor allem des Agierens 
	  und Reagierens – des Eindringens, ja Einverleibens und Umhülltwerdens 
	  auch.
 
 In zwei Anfang der achtziger Jahre 
	  entstandenen Gemälden hallt das kunsthistorisch tradierte Motiv des 
	  aufgehängten, ausgeschlachteten Ochsen noch deutlich nach. Vor allem die 
	  Bilder des geschlachteten Ochsen Chaim Soutines kommen einem in den Sinn, 
	  wobei sich dieser in Paris wirkende Künstler wiederum auf die 
	  Darstellungen Rembrandts bezog. Bei Soutine ist der in die 
	  Zweidimensionalität «geklopfte» Tierkadaver derart aufgespannt, als ob er 
	  zur Leinwand selbst würde.
 
 Willi-Peter 
	  Hummels Bilder herkömmlich auf begrifflicher Basis entschlüsseln zu 
	  wollen, bringt Sie nicht wirklich weiter; es lenkt Sie eher in eine 
	  Sackgasse. Ratsamer ist es, den in die Werke eingeflossenen Energien Ihre 
	  Aufmerksamkeit zu schenken, den zufälligen genauso wie den initiierten 
	  Energien. Doch zu Recht werden Sie einwenden, dass es so eine Sache ist 
	  mit dem Versuch, den Energiefluss sehen und ihm folgen zu wollen, 
	  besonders, wenn es um eine Verbindung und einen Ausgleich 
	  materiell-physischer und geistig-energetischer Aspekte geht.
 
 Um 
	  Action Painting geht es allerdings ebenfalls nicht, auch dies würde eine 
	  falsche Fährte legen. Ein Gefühl für Konzentration und daraus 
	  hervorgehender Konzentriertheit ist entscheidend. Angelegte 
	  Bewegungsimpulse und real ausgetragene Bewegungen spannen eine Art 
	  Koordinatennetz auf, unterschwellig stärker körperlich denn visuell 
	  wahrnehmbar. Allerorten ist er zu vernehmen, der Ruf nach einer anderen 
	  Sprache: nennen wir sie provisorisch
	  artikulierte Bildempfindsamkeit.
 
 Berührbarkeit, konkret verstanden und im übertragenen Sinn 
	  interpretiert, wird zum Schlüsselwort. Den Schichten hinter den Schichten 
	  hinter den Schichten, den Bildern hinter den Bildern hinter den Bildern 
	  versucht Willi-Peter Hummel habhaft zu werden, wohl wissend, dass alles 
	  wie Sand durch die Finger fliessend sich immer von neuem entzieht. Der 
	  Begriff Wut ist in unseren über die Jahre sich hinziehenden und immer 
	  wieder neu aufgenommenen Gesprächen wiederholte Male gefallen.
 
 «Wir kehren immer zum Wasser zurück» heisst es im 
	  Roman «Vom Wasser» des Autors und Langstreckenschwimmers John von Düffel. 
	  Der Versuch zu flüchten wird darin als Illusion entlarvt. «Denn der Sog 
	  des Wassers, seine unnachgiebige Anziehungskraft, bannt uns auf die 
	  Plätze. Es gibt kein Zurück mehr. Es gibt nur die Flucht nach vorn, die 
	  Flucht vor der Angst in die Angst, der Sprung, die Überwindung und das 
	  Eintauchen in das andere Element und die Hoffnung, es möge uns gut sein 
	  und eins werden mit unseren Bewegungen und uns nicht abweisen, fremd und 
	  unverwandt, die Hoffnung, es möge uns aufnehmen, nicht verstossen.»
 
 Als ich diese Zeilen von Düffels las, der einleitend schreibt: «Und 
	  vielleicht werde ich am Ende dieses Buches an einem Fluss sitzen, auf das 
	  Wasser schauen und es verstehen», musste ich an Willi-Peter Hummel und 
	  seine Malerei, seine Zeichnungen und seine Grafik denken. Übrigens 
	  promovierte der deutsche Autor 23-jährig über Erkenntnistheorie. Auch 
	  Willi-Peter Hummel treiben Erkenntnisfragen an. «Emergenz der Dinge» hiess 
	  eine Ausstellung 2008 hier in der Galerie art station, die Willi-Peter 
	  Hummel gemeinsam mit Max Frey bestritt.
 
 «Ich 
	  bin allen Diskussionen aus dem Weg gegangen, weil ich immer der Meinung 
	  war und es auch heute noch bin, dass man sich die sogenannte sichtbare 
	  Welt erst einmal genauer anschauen sollte, bevor man über Metaphysik 
	  argumentiert», schreibt von Düffel weiter und er erzählt von der Macht des 
	  Wassers. «Und diese Macht ist eine sehr wahrnehmbare, wirkliche Macht, wie 
	  ich heute weiss.»1
 
 Auch 
	  bei Willi-Peter Hummel ist das nicht wirklich Sichtbare –
	  wahrnehmbar. Und so braucht es 
	  beim Publikum die Bereitschaft zur Einsicht, begreifen zu wollen, dass das 
	  Unbegreifliche in der künstlerischen Transformation begreifbar gemacht 
	  werden soll. – Ein Zustandswechsel wird im Grunde auch bei den 
	  Betrachtenden selbst als Potential freigelegt.
 
 Unbequemes 
	  zu wagen, ist auf die Bereitschaft angewiesen, Hinterfragung zuzulassen. 
	  Von Düffel blieb seinem Schreiben treu, was die Kritik nicht in gleichem 
	  Mass tat. «Kleine Philosophie der Passionen: Schwimmen» hiess ein späteres 
	  Werk. «Kleine Philosophie der Passionen: Malen» könnte ich mir gut als 
	  Ausstellungstitel für eine nächste Präsentation mit Werken von Willi-Peter 
	  Hummel vorstellen. Er setzt, was einzelnen unter Ihnen längst bekannt sein 
	  dürfte, die Malerei metaphorisch mit der Corrida gleich. Geradezu rituell 
	  ausgetragene Konfrontationen und konzentriert vorbereitete Begegnungen 
	  hautnaher Berührungen ereignen sich. Dabei wirkt die Leinwand als Membran. 
	  «Immer wieder mischen sich im Wasser Sehnsucht und Angst, immer wieder 
	  verbinden sich auf den weiten, offenen Strecken Schönheit und 
	  Gefährlichkeit im Zusammenspiel von Wasser und Bewegung», heisst es im 
	  Klappentext von von Düffels Buch «Schwimmen», was durchaus auf Willi-Peter 
	  Hummels Tun übertragbar ist.
 
 Neben 
	  der Wut blitzt auch der Triumph einer momenthaften Verbindung auf, hie und 
	  da, auf Zeit...Lichter brechen sich Bahn, sie beleuchten Zerrissenheit. In 
	  radikaler Zuspitzung erscheint das Licht beinahe als Riss.
 
 Letztes Jahr ist in der Edition SchwarzHandPresse die kleine und 
	  feine Publikation «An der Küste» mit Originaloffsetlithographien von 
	  Willi-Peter Hummel erschienen. Als einziger Textteil wird ein Satz von 
	  Theodor Fontane zitiert: «Er lässt sich nieder, und die Figuren in den 
	  Sand zeichnend, ziehen die wechselnden Bilder seines Lebens an ihm 
	  vorüber.»
 
 Die 
	  Ausstellung hier in der Galerie art station ist keine Retrospektive, was 
	  zu Willi-Peter Hummels lebendiger Malereieinstellung auch nicht passen 
	  würde. Frühe Arbeiten aus den achtziger Jahren werden solchen, die aus den 
	  Jahren 2013/2014 stammen, gegenübergestellt. Stärker verdichtet und 
	  sublimierter wirken dabei die neueren Werke. Dabei offenbart sich eine 
	  innere Zusammengehörigkeit, eine zeitübergreifende Verwandtschaft. Hatte 
	  Willi-Peter Hummel die Leinwand in einer von Blautönen beherrschten 
	  Malerei aus dem Jahre 1986 noch mit seinen in Farbe getauchten Füssen 
	  bearbeitet, so erwecken die neusten, von Weisstönen und schwarzen Linien 
	  und Bahnen bestimmten Werke den Eindruck, dass sich das Farbgeschehen 
	  buchstäblich im Bildkörper ereignet, hervorbrechend und zurückdrängend 
	  zugleich.
 
 Die 
	  meist direkt mit den Händen behandelten Leinwände werden gleichsam zum 
	  Schauplatz visuell erfahrbar gemachter Ladung. Das Sehen ist, was weithin 
	  verlorenging, – wieder – in 
	  eine Tasterfahrung eingebettet. Betont zeichnerisch tritt die Malerei in 
	  Erscheinung, malerisch präsentieren sich im Gegenzug die Zeichnungen. 
	  Unterschwellig scheint sich alles auf ein Symmetrieverhältnis mit 
	  Abweichungen zu beziehen. Die Arbeiten fördern in einer Art Echo ihre 
	  Prägung durch früheste Felszeichnungen zutage. Der häufig beigemischte 
	  Sand unterstreicht denn auch die referenzielle Verbundenheit mit 
	  steinernen Wänden als Mal-Gründen. 
	  Doch der Sand sorgt darüber hinaus auch für subtile Lichtreflexe und er 
	  spielt metaphorisch auf die vielschichtige Erfahrung von Zeit an.
 
 Willi-Peter 
	  Hummels Malerei gleicht einer Ballung von Überlagerungszuständen. Zudecken 
	  und Entdecken, Distanz und Nähe, Trennung und Vereinigung laufen in einer 
	  geradezu paradoxen Weise gleichzeitig ab. Eine gleichsam überhistorische 
	  Verwandtschaft sieht sich mit Ablösung konfrontiert. Grenzziehungen sind 
	  notwendig, um Kontakte möglich zu machen. In 1982 geschaffenen Arbeiten 
	  auf dünnem Japanpapier, genauer Reispapier, versuchte Willi-Peter Hummel 
	  in einer tendenziell aggressiven Geste reines Pigment auf den Träger zu 
	  bringen, bis hin zum Reissen des Papiers. In jüngsten Arbeiten blitzen 
	  Lichter auf – als helle Farbigkeit, gleich einer Emanation, weiter als 
	  assoziativer Bewegungsfunke oder, in radikaler Form, als Riss: Licht als 
	  Riss. Je transparenter, je nackter 
	  etwas erscheint, desto intensiver ist Berührung möglich, zumindest der 
	  lebenslange Glaube daran.
 
 ©Sabine Arlitt, Dezember 2014
 
	  
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	  John von Düffel: Vom Wasser, Schwimmen – Kleine Philosophie der Passionen, 
	  beide dtv, München 2000. 
	   
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