Text von Sabine Arlitt zur Ausstellung «Farbauftrag» von Willi-Peter Hummel im Atelier Alexander in Winterthur, 2016

 

Die Magie der Kontaktnahme
oder 
«gehaucht bis gehämmert»

Als ich das letzte Mal über die Arbeiten von Willi-Peter Hummel sprach, sagte ich, dass ich mir gut vorstellen könne, dass der Ausstellungstitel in Zukunft einmal «Kleine Philosophie der Passionen: Malen» lauten könnte. Für seine heute zu eröffnende Ausstellung hier im Atelier Alexander hat Willi-Peter Hummel nun den Titel «Farbauftrag» gewählt. Farbauftrag kann als Art und Weise des Farbeauftragens gesehen werden, Farbauftrag  kann gleichzeitig jedoch auch auf die aufgetragene Farbe verweisen. Und schon sind wir – über einen kleinen Umweg – mittendrin in den Passionen und dem Malprozess. Farbauftrag spielt mit der Utopie des Zusammenfalls. Willi-Peter Hummel dürfte sich bei der Wahl seines Ausstellungstitels einiges überlegt haben. Viele unter Ihnen wissen ja bestens, dass wph, wie er sich selbst oft nennt, uns mit seinen ebenso lapidar wie geheimnisvoll anmutenden Titeln wie etwa Emergenz der Dinge, Verstehen auf Zeit oder Auf Grund stets Botschaften liefert, um uns dabei gleichzeitig doch immer wieder ins Leere laufen zu lassen. Auch hier spielt eine Art von Zusammenfall.

Stetes Begehren nach Berührung gab ich selbst einmal einer Vernissagerede als Titel. Auch hier ist im Grunde die Sehnsucht nach dem letztlich Unmöglichen angetönt. Mit dem Erreichen ist stets ein Loslassen verknüpft, mit dem Erscheinen ein Auslöschen. Reichhaltig sind die Bedeutungen, welche die Redensart etwas in die Hand nehmen mit sich führt. Selbstverwirklichung und Machtausübung stehen da schnell einmal sehr nah beieinander. Wph sucht den hautnahen Austausch mit der Leinwand, die es im Grunde gleichsam metaphorisch zu besiegen gilt. Die Leinwand ist ihm Kampfplatz. Wird die Leinwand zur Membran, ist eine Annäherung durch Verwandlung im fragilen Grenzgang als Potenzial angelegt.

Wph spricht bei Atelierbesuchen oftmals von Wut. Er möchte sich Berührung zuweilen regelrecht erkämpfen, er sucht nach einer enttabuisierten Kraft. Berührung ist die Sprache physischer Nähe. Im Wort Berührung steckt aber auch die Metapher für eine emotionale Berührung und geistige Kontaktnahme. Berührung ist in Willi-Peter Hummels Malerei gleichsam die Schaffensmethode. Er legt Hand an, nimmt Kontakt auf. Berührung ist eine Wahrnehmungs- und eine Kommunikationsform.

 Wph arbeitet mit gerissenen Kartonschablonen, Lumpen und Leinwandfetzen, er benutzt breite, flache Pinsel und kleine Hölzchen, er drückt die Farbe aus der Tube und bearbeitet die Leinwand oftmals direkt mit den Händen. Er streicht mit Farbe und verstreicht sie, er trägt sie in tuscheartiger Verdünnung oder pastos auf und kratzt und schabt sie wiederum ab, er verschiebt sie regelrecht, hämmert sie gewaltsam ein oder lässt sie hauchzart und flüchtig die Leinwand tangieren. Dann wiederum reibt er die Farbe in die Leinwand hinein. Er verdeckt und öffnet mit Farbe, er deckt ab und reisst auf.

Auf eine eigene Art bedeutsam ist in seinem Schaffen die Methode des Abklatschs. Im Grunde nutzt wph das Monotypieverfahren, wenn er eine ihn ansprechende Farbkonstellation auf einem Karton direkt auf die Leinwand abdruckt. Eindruck, Ausdruck, Abdruck, Abklatsch, Doppelgänger und Einzelaktion: alles ist verkettet miteinander. Die Nuancen der Eindrücke sind es in einem entscheidenden Mass, die Sie als Betrachter möglicherweise zu beeindrucken, zu rühren, zu berühren vermögen, es sei denn, Sie lassen sich auf die Spurensuche ein.

Das Dasein ist eine Folge von Beziehungsstrukturen. Davon handeln die Arbeiten von Willi-Peter Hummel, die Bilder und Zeichnungen, die Berührung als Bewegung vortragen, die Berührung im Kräfteaustausch vorführen. Ununterscheidbar wird zuweilen, ob die Körper gewordene Farbe dem Betrachter entgegenzutreten scheint oder ob sie sich zurückzieht – in die Unbestimmtheit der Leinwand hinein. Die Leinwand lässt das kreuzartige Chassis durchscheinen. Die Horizontale und die Vertikale sind Metaphern für lebenswichtige Konditionen des Menschen. Raum wird aufgespannt  – Ereignisraum. Mauerartige Geschlossenheit steht im kämpferischen Dialog mit raumgreifender Weite.

 Ein Anziehen und Abstossen, Anschmiegen und Umklammern, ein Umhüllen und Durchdringen, Aufstreben und Hinabstürzen geht mit den Protagonisten einher: ein rotes Eisenoxid beziehungsweise ein gebranntes Siena und ein Karbonschwarz – als Mitakteure das weisse Blatt oder die ungrundierte Leinwand. Und, als gleichsam latenter Mitspieler, das energetische Geschehen im Moment. Im Eingangsraum fällt ein Gemälde besonders auf. Hier ist so manches auf dem Weg, sich eingespielter Linienverlaufe und Erscheinungsmuster zu entledigen. Nur vage erinnern die beiden körperlich anmutenden Erscheinungen an aufgehängte Tierkadaver und menschliche Umrisse. Ein drehendes Schweben erobert sich den Bildraum. Die der Farbe abgerungenen Verkörperungen gleichen Markierungen, die auf einer rhythmischen Hingabe basieren. Spuren seismografischer Empfindungsverläufe suchen ihre Präsenz vorrangig zu behaupten. Zeit verräumlicht sich und Raum temporalisiert. Man denkt an Ritual und Magie, man denkt nicht mehr an das Repräsentieren. Berührung verwandelt. Erinnerung und Sehnsucht fallen zusammen.

©Sabine Arlitt, Zürich, April 2016